Rad-Menschen

Nr. 7: Sabrina Friedrich, Mitglied der Polizei-Fahrradstaffel Hamburg

Sabrina Friedrich von der Polizei-Fahrradstaffel Hamburg
Heute war ADFC Radreisemesse im CCH. Dort kann man neue Fahrräder bestaunen, sich über Reisen nach China mit Bambusbikes informieren oder Cargobikes probefahren. Oder sich mit Mitgliedern der Polizei-Fahrradstaffel unterhalten. Ich habe Letzteres getan und Sabrina Friedrich (32) kennen gelernt. Es wurde ein längeres Gespräch als gedacht.

Sie steht neben einem zerstörten Mountainbike. Sabina Friedrich erklärt Besuchern der ADFC Radreisemesse in den Hamburger Messehallen, was es mit diesem deformierten Fahrrad auf sich hat. "Der Fahrer wurde getötet. Beim Abbiegen geriet er unter einen Lkw", erklärt sie den Umstehenden, die erst interessiert, dann betroffen auf das Unfall-Fahrrad blicken.


Abschreckung: Dieses Mountainbike erlebte einen tötlichen Unfall
Die rechte Hinterbaustrebe ist extrem deformiert, das Antriebsrad aus den Ausfallenden gerissen, Speichenenden ragen wie Igelstachel spitz in die Luft, vorne baumelt der abgebrochene Lenker nur noch vom Bremskabel gehalten in der Luft. Ein trauriges Bild. Nein, ein schockierendes Bild. Und genau das soll dieses Fahrrad: Es soll schockieren, abschrecken, warnen und aufrütteln.

Immer wieder muss Sabrina Friedrich die schreckliche Geschichte dieses Rades heute wiederholen; immer wieder die gleichen Fragen beantworten. Das ist Teil ihrer Aufgaben bei der Fahrradstaffel in Hamburg. Es geht um sicheren und damit besseren Radverkehr in der selbsternannten "Fahrradstadt Hamburg". Darum hat diese kaum bekannte Abteilung der Polizei einen kleinen Stand in der Hallenecke eingerichtet, der gut besucht wird.
Die Fahrradstaffel informiert auch über Diebstahlschutz

Aber was macht die Fahrradstaffel im Alltag? "Wir sind präventiv unterwegs, melden schadhafte Radwege oder Gefahrenschwerpunkte, kontrollieren sowohl Fahrrad- als auch Autofahrer", erklärt Sabina Friedrich. Und wenn es der Zufall will, beteiligen sich die Pedal-Polizisten auch an der Verbrecherjagd. Kein Zweifel: Einer Metropole wie Hamburg steht eine besattelte Copabteilung gut zu Gesicht, einer Möchtegern-Fahrradstadt sowieso.

Um so erstaunter bin ich, als Fahrradpolizistin Friedrich mir erzählt, dass die Staffel nur zehn Beamte umfasst, im Winter sogar nur fünf. Das ist viel zu wenig, meine ich. Die Fahrradstaffel sollte viel größer, damit sichtbarer sein und wo möglich die Streifenwagen ersetzen. Das hätte gleich mehrere positive Aspekte:
-mehr Verkehrssicherheit
-mehr Disziplin und Regeltreue der Fahrrad- und Autofahrer
-positive und symphatische Darstellung der Poizeiarbeit
-Kostensenkung durch Einsparung von Streifenwagen-Kraftstoff
-Umweltschutz durch Co2- und Schadstoffausstoss-Reduzierung

Zur Bekämpfung typischer Kleinkriminalität wie Taschen- oder Fahrraddiebstahl, Verfolgung illegaler Hütchenspieler und Drogendealern ist das Fahrrad dem Auto ohnehin weit überlegen. Ich behaupte mal, dadurch könnte die Polizei ihre Aufklärungsrate verbessern. Denn wie ich von Sabrina Friedrich erfahre, hat auch ein Fahrradpolizist bei Einsätzen Sonderrechte, darf also beispielsweise  bei rot über Ampeln fahren. Blaulicht und Martinshorn ist dafür nicht nötig und würden an einem Polizeifahrrad vielleicht auch lächerlich wirken.

Zum Schluss noch eine Frage an Sabrina Friedrich: "Würden Sie privat an der Critical Mass (CM) teilnehmen?", will ich wissen. Ihre Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: "Nein, denn dann würde ich eine Ordungswidrigkeit begehen", sagt sie. Aus Polizeisicht ist die CM nämlich jedes Mal eine nicht angemeldete Demo, Teilnehmer begehen also eine Ordungswidrigkeit. Als Beamtin könne sie sich das nicht erlauben. Dennoch ist Sabrina Friedrich bei der CM fast immer dabei. In einem der absicherten Schlussfahrzeuge der Polzei nämlich. Die Fahrradstaffel hat ihe Augen auch ihr auf Hamburgs Fahrradszene gerichtet.

Sabrina Friedrich mit Polizei-Dienstfahrrad
Wie erwähnt: Ich finde diese Polizeiabteilung und -arbeit sehr gut und ausbaubedürftig. Darum wünsche ich mir sehr, dass der neue (und fahrradaffine) Innensenator Andy Grote, die Polizeiführung und die neue Fahrradkoordinatorin Kirsten Pfaue sich für eine personelle Aufstockung dieser wichtigen Abteilung einsetzen. Auch beim Material wäre es nicht schlecht, wenn die Polizistinnen und Polizisten neben Bikes mit spezieller Rohloff-Polizeinabe auch auf Pedelecs und E-Bikes zurück greifen könnten. Sonst dürfte die Verfolgung elektrisierter Verkehrssünder schwer werden.








Nr. 6: Hüseyin, der Pizza-Bote mit dem Pedelec

Meine Nachbarn sind wie ich Fans von Pizza. Und die wird schon mal gerne bei Joey's bestellt. Meist rollt dann 20 Minuten später ein VW Up oder kleiner Citroen vor und ein Lieferant bringt die italienische Spezialität in einer Wärmebox an die Haustür. Heute war das anders. Heute stand erstmalig ein Joey's-Pedelec vor unserem Haus. Gelegenheit also für ein Kurzinterview mit Hüseyin, dem Fahrer des elektrisch unterstützte Bikes.
Hüseyin ist 17 und fährt normalerweise einen Motorroller als Auslieferungsfahrzeug. Heute hat er ein Pedelec von der zuständigen Filiale zugeteilt bekommen. Seine Schicht beginnt um 14 Uhr und endet gegen 22 Uhr; pro Stunde gibt es 8,50 Euro - nicht schlecht für einen Job, bei dem man Fahrradfahren kann. Aber Hüseyin gesteht ehrlich: "Den Roller fahre ich lieber."
Das Velosic hat einen Rahmen mit tiefen Durchstieg. Der 504 Wattstunden-
Lithium-Akku ist hinterm Sattlrohr montiert. Das Rad kostet rund
2500 Euro

Vielleicht liegt es am Rahmen des Rades. Dieses hat eindeutig eine Damenrad-Geometrie und sieht eher bieder aus. Es gibt wahrlich coolere Modelle . Das Teil stammt von der Firma Velosic, die sich auf elektrifizierte Transport-Fahrräder spezialisiert hat. Der Hinterradnabenmotor leistet 250 Watt und wird von einer Sechsgang-Kettenschaltung per Muskelbetrieb unterstützt. Oder umgekehrt. Ich unterstelle mal, das Pizzalieferanten oft, gerne und viel auf maximale E-Unterstützung des 30 Kilo schweren Pedelecs zugreifen, sollte es über eine entsprechende Power- bis Eco-Funktion verfügen. Theoretisch liegt die Reiweite des Lithium-Ionen-Wechselakkus bei 50 bis 70 Kilometern.

Wie viel Hüseyin pro Schicht fährt, kann er nicht sagen. "Rund 40 Auslieferungen kommen zusammen, aber welche Distanz das am Ende ist, weiß ich nicht", rätselt er nachdenklich. Dann zeigt er auf die roten Lampe am Akku: "Da, schon wieder leer!" Der Stromspeicher wird daher wohl öfter am Tag gewechselt werden müssen. Und das kalte Wetter mit den heutigen Minusgraden dürfte auch nicht  reichweitenfreundlich sein. Akkus verlieren dann an Kapazität.
Und so sieht das offizielle Joey's Pressebild zum Thema Pedelec aus
Die große Heckbox des Velosic-Gefährts wurde speziell für die Pizzaauslieferung optimiert, denn das Gehäuse ist isoliert und hält die Pizzen warm. Rund 70 Liter passen rein - genug Platz also für mehrere Familien-Pizzen.

Und so erfahre ich in einem Fünf-Minuten-Klönschnack so einiges über das Leben als Pizzalieferant auf dem Pedelec. Schon länger treibt mich der Gedanke um, so eine Schicht mal selber zu fahren. Mal sehen ob Joey's mich demnächst für einem Einmal-Aktion anstellt.
Der E-Motor leistet 250 Watt und ist in der Hinterradnabe verbaut

Ich hoffe jedenfalls das Pedelec nun öfters statt der roten Lieferautos in meinem Viertel zu sehen. Gerüchteweise habe ich gehört, das Pedelec-Lieferanten einen höheren Stundenlohn kassieren als die Kollegen mit den Autos. Ob das stimmt? Mal sehen, was die Joey's-Pressestelle dazu sagt; die Antwort trage ich dann hier nach. Vernünftig wäre das auf jeden Fall und würde helfen, das gerade vom Konkurrenten Dominos übernommene Unternehmen als umweltfreundlich und nachhaltig zu platzieren. Und natürlich ist das auch eine Kostenfrage: Die Auslieferung per Elektrorad dürfte deutlich billiger sein als mit dem Auto. Vielleicht können auch die Pizza-Kunden was zur Steigerung der sauberen Anlieferung beitragen, in dem sie fahrradfahrende Boten mit einem motivierenden Trinkgeld bedenken.
Pedelec sollen das Joey's-Image heben

Bei einer kleinen, nicht repräsentativen Umfrage, die ich bei Pizzaboten durchgeführt habe, bevorzugen fast alle das Auto. Oder wie wäre es, wenn Joey's "Pedelec-Pizzen"günstiger anbietet als "Auto-Pizzen"? Die Differenz würde ich gerne dem Fahrer als erhöhtes Trinkgeld überlassen. Nur mal so als Gedankenspiel an die Joey's-Zentrale. Mit den eingesparten Co2-Emmissionen ließe sich bestens Werbung betreiben. Wie wichtig dem Food-Delivery-Dienst ökologisch optimierte Mobilität ist, zeigt es bei seinem Engagement mit E-Fahrzeugen. In Berlin ist zum Beispiel ein Peugeot iOn im Einsatz, der induktiv geladen wird. Bereits seit 2012 setzt das Unternehmen auf E-Modelle und lässt dazu per Pressemitteilung folgendes verlauten: "Unsere Testphase zeigt, dass wir mit einer Umstellung auf einen elektrisch betriebenen Fuhrpark eine spürbare Kosteneinsparung erreichen können“, so das positive Fazit von Karsten Freigang, Geschäftsführer Joey’s Pizza Service GmbH. Im April 2012 wurde der Fuhrpark des Betriebes in der Hamburger Innenstadt komplett auf elektrisch betriebene Fahrzeuge sowie auf Ökostrom von E.ON Hanse Vertrieb umgestellt. Bisher kamen drei verschiedene E-Roller und drei E-Autos zum Einsatz, darunter auch der Renault Twizy.

Schönes Detail: Der obere Lenkrohr-Konus ist mit einer
schicken Aluklemme aus eloxiertem Alu verkleidet





















 
Nr. 5: Helmut, der Radsport-Chronist
Helmut Niemeier in "seinem" HFS-Trikot

Er ist spät dran. Wie so oft. Wie eigentlich immer. Gerade auf den letzten Drücker schafft es Helmut zur Startlinie. Oder besser gesagt: darüber hinaus. Denn Helmuts Stammplatz ist nicht hinter, sondern vor der Startlinie. Da steht er mit seinem Fotoapparat in der rechten Hand und einer Kippe in der Linken und schießt die Radsportler ab, die jeden Moment über die Startlinie rollen werden. Das ist sie, die typische Szene in der man Helmut an einem typischen Sonntag bei den typischen Radsportveranstaltungen in Norddeutschland erleben kann.


Seine selbst ernannten Pflichttermine sind die so genannten Radtourenfahrten (RTF), bei denen sich meist mehrere hundert Teilnehmer früh am Sonntag auf von Radsportvereinen organisierte Ausfahrten begeben. Nein, Kaffeefahrten sind das nicht. Im Gegenteil: Hier geht es um Radsport. Um Rennradfahren; nicht zu verwechseln mit Radrennfahren. RTF sind eine beliebte Form, sich an einem Sonntag sportlich mit dem Fahrrad zu betätigen.

Dort, am Start einer RTF, steht Helmut dann wie ein Jäger in seinem Revier und sucht die aussagekräftigsten Motive. Helmut, den kein Radfahrer mit "Herr Niemeier" anredet, ist aber nicht nur RTF-Fotograf, sondern auch ihr Chronist. Vor acht Jahren hat Helmut ein Online-Magazin für Fahrradfahrer gegründet, das schlicht und einfach seinen Namen trägt: Helmuts-Fahrrad-Seiten. Das kurz HFS genannte Portal ist inzwischen weit über die Grenzen von Hamburg bekannt und beeindruckt durch Berichte von Radpsortveranstaltungen aus der ganzen Welt. HFS ist Kult. Helmut selbst bezeichnet das von tausenden Lesern und Schreibern frequentierte HFS-Forum als "Daily Soap".


Anders als offizielle Verbandportale wie "rad-net" gleicht HFS mit den dort veröffentlichten Beiträgen tatsächlich einer Seifenoper. Einem Vorschlag oder Meinungsäußerung folgt eine empörte Gegenrede. Oder heftige Zustimmung. Meist beides. Oft zeigen die Forumsschreiber mit knappen Sätzen und mittels Emoticons (Gefühlssymbole) wie Smileys, was sie denken.


Aber es wird auch gestritten, und zwar leidenschaftlich - über Doping, über Startgebühren, über Radrüpel, über RTF-Verpflegung. Oder darüber, dass es sich als Radfahrer schickt, mit Fluppe und Bierbuddel im Ziel rumzustehen. Helmut kann über so etwas nur lachen und steckt sich eine an. "Die Welt ist bunt, HFS ist bunt", lautet sein äußerst tolerantes Credo. Jeder darf sein wie er will.

Im Gegensatz zu anderen Foren, wahren die Diskutanten stets die Form. Beleidigungen - in Internet-Foren Gang und Gebe - sind auf HFS äußerst selten. Wenn sie doch mal vorkommen, regelt Helmut das als Administrator souverän wie ein guter Schiedsrichter. Helmut ist selbst ein meinungsstarker Zeitgenosse. Momentan kann er sich für Pedelecs und E-Bikes begeistern. Findet das jemand unsportlich, hält er ein flammendes Plädoyer für diese Form des Radfahrens.

Soll sich ja keiner täuschen. Auf den ersten Blick wirkt der kleingewachsene Mann wie ein unsportlicher Kauz. Doch Helmut ist nicht nur mit zäher Ausdauer gesegnet, sondern kann auf dem Rennrad auch ein überraschend flottes Tempo mitgehen. Das er mit seinem 57 Jahren überdurchschnittlich schnell ist, würde er aber nie behaupten. Der Mann stapelt lieber tief und bevorzugt ein gepflegtes Understatement wenn es um muskuläre Heldentaten geht.

Der HFS-Schwerpunkt liegt klar auf sportlichen Aktivitäten. Nicht nur Radfahrer kommen hier zu Wort, sondern es gibt auch eine Rubrik für Läufer. Wie es sich für ein gutes Forum gehört, werden aber auch Themen wie Alltagsradfahren, neue Produkte und Skurriles abgehandelt. All das pflegt Helmut neben seinem Beruf als IT-Experte in einer Bank mit viel Akribie und Einsatz meist bis tief in die Nacht, so dass es schon mal vorkommen kann, das er auf einem Radsportvortrag am nächsten Tag einschläft. Aber das tut er unauffällig ohne zu schnarchen und trotz verdientem Nickerchen kann er am Ende einer Veranstaltung immer kräftig mit diskutieren.

Wie es sich für einen echten Radfan gehört, besitzt Helmut mehrere Fahrräder. Für jeden Zweck das richtige Gerät. Eine seiner jüngeren Anschaffungen ist ein MTB vom Hamburger Hersteller Trenga in der Trendgröße 650B. Wie immer hat er das Rad nach persönlichen Vorstellungen optimieren lassen. Trotzdem: Absolut zufrieden mit einem Produkt ist Helmut selten. Ständig findet er Details, die aus seiner Sicht verbessert gehören.

Auf die Palme bringt ihn Technik, die nicht funktioniert. Ein Handy, das nicht tut was er will, läuft akut Gefahr, auf dem Boden zu zerschellen. Sein wichtigstes Arbeitsgerät ist seine Kompaktkamera. Die ist immer dabei. Selbst auf dem Klo macht Helmut hin und wieder seine Schnappschüsse, so dass auf HFS wahrlich die gesamte Breite der Radszene zu sehen ist.

Kein Zweifel: Helmut liebt sein Hobby. Aber was heißt schon Hobby? Fahrräder und alles was damit zusammenhängt, sind für ihn schon fast eine Berufung. Wo immer Rad gefahren oder darüber gesprochen wird, ist Helmut nicht weit. Ob Produktvorstellungen, Preisverleihungen, Pressekonferenzen oder nächtliche Lichterfahrten durch dunkle Stadtteile - Helmut ist vor Ort und berichtet via HFS.

Mir gefällt das HFS-Forum so gut, dass auch ich dort regelmässig meinen Senf dort abliefere. Und nicht nur das: HFS war zumindest mitverantwortlich dafür, dass ich diesen Blog ins Leben gerufen habe. Dank(e) Helmut!


Nr. 4: Steffi, die Lastenrad-Kurierin

Peutestrasse am Abend. Brummi-Fahrer stellen ihre Lkw ab, machen sie fertig für die Nacht. Es riecht nach Diesel. Hier, zwischen Norderelbe, Hafenbecken und Aurubis-Kupferhütte ist Trucker-Revier. MAN, Actros, Scania - außer Zugmaschinen und Trailern ist auf der schnurgeraden Industriestraße nicht viel zu sehen. Dann kommt Steffi. Steffi fährt quasi auch einen Truck. Einen mit zwei Rädern und Muskelantrieb. Denn Steffi ist Kurierfahrerin bei Inline und sitzt auf einem Bullit - ein Einspur-Cargobike aus Aluminium mit großer Kiste vorm Lenker. Schon oft habe ich Steffi mit dem weißen Lastenrad in Hamburg gesehen. Nun haben wir haben uns kurz über ihren Job im Besonderen und das Leben im Allgemeinen unterhalten.Steffi guckt skeptisch in den Himmel. Im Westen wird es schon wieder bedrohlich dunkel. Routiniert holt sie ihre schwarze Regenjacke aus der silbernen Transportbox und zieht sie über. An einem Brustgurt baumelt ein wasserdicht verpacktes Funkgerät. "Fünf Mal bin ich heute nass geworden", sagt Steffi. Verrücktes Wetter. Verrückter August. Erst Sonne und blauer Himmel, dann Platzregen und überflutete Straßen. Radkuriere müssen damit leben. Ein hartes Leben.

Nach einem Zwölf-Stunden-Tag rollt Steffi über die Peute nach Hause. Hier wohnt sie und fährt jeden Tag über die Elbbrücken ins Zentrum. Die Peute ist ein ungewöhnlicher Ort zum wohnen - eine Mischung aus Flashdance-Romatik mit Mann-im-Strom-Flair. Das passt zu Steffi, ist sie doch eine der wenigen Frauen, die diesen Knochenjob auf Hamburgs Straßen nachgehen. Früher fuhr sie ein Singelspeed. Doch das steht schon länger in der Ecke. Sie will es verkaufen. Ihre Firma hat einen Deal mit dem dänischen Cargoradhersteller Bullit ausgehandelt und ein paar Exemplare erworben. Seit dem fährt sie ausschließlich dieses moderne Lastenrad, dass inzwischen ihr gehört. Denn Radkuriere sind selbstständig; an der Kurierfirma Inline sind die Mitarbeiter beteiligt.

Bullits gibt es auch mit E-Motor. Doch Steffi, darauf legt sie wert, fährt mit Muskelkraft. "Dann kann ich mehr essen", scherzt sie. Die Inline-Konkurrenzfirma "Der Kurier" hat auch Bullits in Hamburg im Einsatz, die aber mit E-Doping unterwegs sind. Der Trend scheint eindeutig zum Lastenrad zu gehen.

Warum? Das weiß auch Steffi nicht so genau. Natürlich hat es mehr Transportkapazität als die üblichen Kuriertaschen. Ein Bullit kann 180 Kilo zuladen und problemlos einen kleinen Kühlschrank oder Zimmerpalmen von A nach B befördern. "Ich hatte schon Aufträge wie sechs Kisten Wein von Händler zum Besteller zu befördern", erklärt Steffi. Doch viele echte Cargofahrten, für die nur ein Lastenrad in Frage kommt, sind nicht das Hauptgeschäft. Nur rund ein Drittel der Aufträge, so schätzt Steffi, erfordert auch tatsächlich die Kapazität des Bullit. So kommt es oft vor, dass sie mit dem langen Ding einen DIN-A4-Briefumschlag durch die Stadt chauffiert.

Das Bullit hat eine große Transportkiste und verträgt 180 Kilo Zuladung

also zukunftssicher.

Die neue Ikea-Filiale in Altona lässt ihre Waren inzwischen auch von Lastrad-Kurieren zum Kunden bringen. Doch so richtig beliebt sind diese Ikea-Jobs nicht, berichtet Steffi. Da würde sich so machner Kunde beschweren, warum der Anlieferer die Möbel nicht zusammenbaue.

Pro Stunde verdient Steffi etwa 20 Euro. Als Selbstständige muss sie sich selber krankenversichern und macht sie Urlaub, rollt weder ihr Rad noch der Rubel. Und weil nur der Radkurier-Job nicht genug einbringt, arbeitet Steffi morgends zusätzlich in einem Café. Danach geht es aufs Rad. Zwölf- bis 14-Stunden-Tage sind normal. Manchmnal fährt sie auch einen Lkw bei Filmproduktionen. Steffi ist als keine dogmatische Radkurierin der alten Schule, die Autos ablehnt, sondern sieht das ganz pragmatisch. Gut so.

Die Gesamt-Fahrstrecke an einem normalen Arbeitstag liegt zwischen 40 bis 100 Kilometern. "Genau weiß ich es nicht, denn ich habe keinen Tacho", erklärt Steffi. Heute war es jedenfalls ein harter Tag mit den ständigen Regengüssen und den niedrigen Temperarturen. Richtig hart aber wird der Job erst im Winter, bei Frost und Eis.

Aber daran mag Steffi noch nicht denken. Heute ist ertmals Feierabend. Ein wohl verdienter Feierabend.


Nr. 3: Karl-Heinz, mein Zeitungsmann

Mist, keine Zeitung im Briefkasten. So meine erste Reaktion als ich heute morgen weder SZ noch taz wie erwartet im Briefkasten vorfinde. Gleich mal deftig beim Abo-Service beschweren. Doch dann rollt plötzlich Karl-Heinz mit seinem 70er Jahre Klapprad vor die Tür. In den Satteltaschen hat er meine Zeitungen, die er normalerweise zwischen vier und sechs Uhr anliefert. Morgens in aller Frühe versteht sich. Heute geht es ihm nicht gut. Er hustet. Karl-Heinz wirkt angeschlagen. Sein Job ist hart und der Lohn niedrig, wie ich bei einem kurzen Klönschnack erfahre.
Auf den ersten Blick sieht Karl-Heinz aus, als arbeite er bei Müllabfuhr oder Stadtreinigung. Er trägt eine orangene Leuchtjacke und -hose - das typische Outfit der Straßenarbeiter, die bei Wind und Wetter draußen malochen. Doch Karl-Heinz ist nicht bei der Mülle und auch nicht in Diensten der Stadt. Karl-Heinz ist Zeitungszusteller in Hamburg-Wilhelmsburg, ein hartes Pflaster und ein noch härterer Job.

Davon erzählt sein furchiges Gesicht mit dem weißen Bart. Auf dem Kopf sitzt eine Basecap mit Störtebeker-Schriftzug. Auf den Handrücken sind verblichene Tatoos zu erkennen - Abzeichen einer Vergangenheit, die sich kaum an der Elbchaussee oder Alster abgespielt hat. ährend er erzählt, muss Karl-Heinz wiederholt husten. "Astma", sagt er trocken und zieht wie zum Beweis ein kleines Sprühfläschen aus der Tasche.

So wie Karl-Heinz sehen Menschen aus, die schon einiges erlebt haben. Und das, was sie erlebten, spielte meist mehr im Schatten als in der Sonne. Trotzdem wirkt Karl-Heinz zufrieden. Weder über das nass-kalte Wetter mag er meckern, noch über die frühen Arbeitszeiten. Nur das unser Aufzug gerade nicht funktioniert, finde er nicht gut. "Der fährt nur hoch, nicht runter", meint er lächelnd. "Stimmt, umgekehrt wäre aber noch blöder", antworte ich. Nun wird aus seinem Lächeln sogar ein Lachen.

In der Regel arbeitet mein Zeitungsmann vier bis fünf Stunden pro Tag, auch samstags. Am Monatsende überweist ihm sein Arbeitgeber dafür knapp 400 Euro - ehrliches und sehr hart verdientes Geld, finde ich. 24 Tage á fünf Stunden macht 120 Stunden pro Monat. 440 durch 120 ergibt einen Stundenlohn von rund 3,30 Euro. Wird nicht gerade in der Politik über den Mindestlohn gestritten? Ich werde es jedenfalls künftig mehr zu schätzen wissen, wenn ich morgens zum Frühstück meine Zeitung aus dem Briefkasten hole.


Dann kommen wir auf sein Fahrrad zu sprechen. Das hat sogar die legendäre Duomatic von Fichtel und Sachs. Doch das interessiert Karl-Heinz nicht sonderlich. "Ich brauche nur einen Gang", sagt er. Auch bei seinem Rad ist der Mann genügsam. Den Lenker hat er mit zwei Deutschlandfahnen verziert. Die gab es während der Fußball-WM beim Billigshop TEDI für einen Euro erzählt er und zeigt auf die rechte Flagge. Im gelben Stoff sind lauter kleine Brandlöcher. ""Von meiner Zigarette", schmunzelt Karl-Heinz.

Auf dem goldenem Metalliclack des 24-Zoll-Klapprades steht der Schriftzug "Super Star". Ich finde, dieser Markenname passt nicht nur zu seinem Rad, sondern noch besser zu seinem Fahrer. 


Nr.2: Ertan, der Stadtrad-Malocher
Ertan, der gute Geist von Stadtrad Hamburg
Ertan ist Student und hat einen "sehr spannenden Wochenendjob", wie er selber sagt. Denn er ist für Stadtrad Hamburg als Disponent unterwegs und verteilt mit einem Mercedes Werkstattwagen die roten Leihräder an die einzelnen Stationen. Ein Knochenjob. Weiterlesen 

Sonntag, 15 Uhr, beste Kaffee-und-Kuchenzeit. Doch an große Pause und Erholung ist für Ertan nicht zu denken. Ertan ist Student und hat einen Wochenendjob. "Meine Schicht dauert noch bis 22 Uhr", sagt er, nach dem er seinen weißen Mercedes Sprinter am U-Bahnhof Landungsbrücken geparkt hat und sich eine Entspannungszigarette gönnt. Touristen und Ausflügler schlendern durch den windigen Hafen. Trotz des ungemütlichen Wetters ist viel los an der Elbe. Auch im Winter sind die beliebten Stadträder sehr gefragt. Während in Berlin und anderen Städten die Kurzzeit-Fahrräder in den Winterschlaf geschickt werden, läuft der Betrieb in Hamburg weiter. Nirgends sonst sind die Räder so gefragt wie bei uns an der Elbe. Hamburg ist eben eine echte Radfahr-Metropole. Hamburgs Leihrad-System ist eine Erfolgsgeschichte und boomt weiter.

Und genau hier kommt Ertan ins Spiel. Denn er kümmert sich darum, dass immer genügend Räder dort sind, wo welche gebraucht werden. Das Geflecht aus 129 Stadtrad-Stationen mit rund 1650 Leihvelos am Laufen zu halten, ist eine komplexe Aufgabe. Während einige Stationen mit abgestellten Rädern überquellen, herrscht an anderen Standorten gähnende Leere. Also sorgt Ertan dafür, dass die Räder der Nachfrage angemessen verteilt werden.

Je nach Uhrzeit sind die Außenstationen abends gerne überfüllt und die Leihstandorte im Zentrum zu leer. Um die Mittagszeit ist eher das Gegenteil der Fall. Am heutigen Sonntag ist zum Beispiel die Station 2621 an den Landungsbrücken am Nachmittag überfüllt. 22 von den schweren Leihrädern müssen rein in den Sprinter und an anderen Stationen wieder ausgeladen werden - ein Knochenjob.

Bevor es losgeht kann Ertan sich am Terminal in eine interne Übersicht einlocken und erkennen, wo wie viele Räder geparkt sind. Er entscheidet dann, wie viele er an welche Standorte fährt. Da ist seine Erfahrung über die Leihrad-Verkehrsströme hilfreich. "Mit der Zeit lernst Du, auf welchen Strecken die Räder gerne genutzt werden", erklärt Ertan.

Er kennt auch andere interessante Details. So habe ich mich schon mehrfach darüber geärgert, dass an der Station meines künftigen Wohnorts in Wilhelmsburg oft die Räder platt auf der Seite liegen. Ich vermutete Vandalismus oder übermütige Kinder, die Spaß daran haben, die Räder umzukegeln. Aber Ertan weiß es besser. "Die Station vor der Baubehörde hat keine Poller zum anschließen mit dem dicken Verrieglungsstab. Darum stehen die Räder dort frei und werden leider oft vom Wind umgekippt", erklärt er mir. Ertan wohnt auch in Wilhelmsburg und möchte so offenbar auch den einst schlechten Ruf des Stadtteils weiter entkräften.

Das ist ihm bei mir überzeugend gelungen. Schön, dass sich gleich drei Stationen in unmittelbarer Umgebung des S-Bahnhofs Wilhelmsburg befinden. Ich werde die Räder bestimmt hin und wieder mal nutzen. Ach, da fällt mir ein: Wo parkt eigentlich gerade Nummer 9275? Ertan könnte das bestimmt rauskriegen.

 Nr 1.: Max, der Postbote

Es nieselt. Max hat trotzdem gute Laune. Schlechtes Wetter gibt es für ihn nicht. Er hat für jedes Klima die richtige Kleidung. Max ist Berufsradfahrer und sitzt täglich auf dem Drahtesel. Da merkt er so einen leichten Nieselregen schon gar nicht mehr. Denn in Hamburg nieselt es oft. Fröhlich spaziert Max in den Flur des Altbaus und macht seine Arbeit. Max ist Briefträger, mein Briefträger. Bislang haben wir uns noch nie unterhalten. Warum auch? Wenn er mal wieder eine Rechnung durch den Schlitz schiebt, wird meine Laune nicht besser. Und schöne Postkarten aus fernen Ländern mit Urlaubsgrüßen sind selten geworden. Heute wird ja lieber aus jedem Winkel der Welt getwittert oder gleich ein Freund per Skype live vom Südpol oder Kilimandscharo zugeschaltet.


Auch das von älteren Menschen gepflegte Gespräch mit dem Postboten ist vom Aussterben bedroht. Meist ist Max in Eile. Ich auch. Für ein Schwätzchen reicht es meist nicht. Das hat sich heute geändert. Max und ich haben uns unterhalten. Über was? Über Fahrräder natürlich. Max ist schließlich ein "Radprofi"; so gesehen ein Kollege von Froome, Cancellara, Kittel und Co. Und wer von Berufs wegen mit dem Fahrrad unterwegs ist, hat was zu erzählen.

 Früher hat Max in Kassel gearbeitet. "Dort habe ich die Post noch mit einem Handwagen ausgefahren", sagt er. Dann hat ihn die Liebe nach Hamburg gerufen. Max Dienststelle ist das Postamt am Überseering. Von dort geht er auf Tour durch Winterhude und radelt erstmal durch den Stadtpark. Es gibt schlechtere Arbeitswege. In der Jarrestadt heißt es dann bremsen, absteigen, Post einwerfen, aufsteigen, treten, wieder bremsen, wieder absteigen, wieder in den Flur, wieder ein paar Meter treten...  Kein Zweifel: Postbote ist ein Job an der frischen Luft mit viel Bewegung.

"Keine Ahnung. Echt nicht. Kann ich noch nichtmal grob schätzen", antwortet Max auf meine Frage, wie viele Kilometer er denn pro Schicht so im Sattel sitzt. "So viele werden es nicht", meint er. "Ist ja ein dicht besiedeltes Gebiet hier." Stimmt und darum finde ich es interessant, wie er sein Dienstfahrrad beurteilt. Als Max vor unserem haus stoppt, ist mir da knallgelbe Post-Velo sofort ins Auge gestochen. Es ist noch ganz neu und Max ziemlich stolz. "Fährt gut", meint er knapp. Aha, ich kann es mir eigentlich nicht vorstellen. Mit den riesigen Postkisten vorne und hinten dürfte das Handling nicht überragend sein. Eine Proberunde würde mich schon reizen. Ob ich ihn mal fragen soll? Nee, lieber nicht. ich möchte Max nicht in Verlegenheit bringen. Also plaudern wir noch ein wenig über die Technik des Rades. Vo allem vom riesigen Bügel-Ständer, den man bei Posträdern zum Abstellen unters Vorderrad klappt, ist Max begeistert. "Der funktioniert noch schön leichtgängig und geschmeidig", erklärt Max.
 
Wer das Rad hergestellt hat, ist leider nicht erkennbar. Dort wo sich sonst der Markenname befindet, steht nur Deutsche Post, dahinter das schwarze Posthorn. Die Post hat es aber nicht Sicherheit nicht gebaut. Wie es sich für eine ehemalige Bundesbehörde gehört, haben ihre Gefährte ganz spezielle Sicherheitshinweise. Auch die Fahrräder. Auf dem Sattelrohr ist der guten Ordnung halber der maximale und minimale Luftdruck vermerkt. Das Postrad rollt auf der inzwischen eher seltenen Radgröße 24 Zoll.

Spannend sind auch andere Details. So stammt die vordere Trommelbremse vom britischen Traditionslieferanten Sturmey Archer, der aber auch schon länger in Asien produziert. Im Hinterrad ist eine Fünfgang-Nabenschaltung von Sram verbaut - eine solide Auslegung.


Ob Max nicht lieber eine Pedelec fahren möchte, die ja ebenfalls bei der Post im Einsatz sind, frage ich ihn abschließend. "Klar, das wäre was", sagt er. Aber er sei nur ein einfacher Postbote. Die E-Bikes werden von den älteren Kollegen gefahren. Da komme man nicht so einfach ran. Max schwingt sich wieder in den Sattel und dann geht die Post ab - mit reiner Muskelkraft.

3 Kommentare:

  1. Unsere fährt ein Pedelec. Ein viel zu schweres und behäbiges Ungetüm, produziert von der Firma MiFa. Der Motor macht zudem viel zu laute Geräusche. Es gibt ein tolles Lasten-Pedelec von Flyer, das aber war der Post zu teuer für ihr Personal.

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  2. Das lese ich mir alles bald genauer durch. Jetzt erstmal gute Nacht aus Ravensburg.
    Alexandros

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  3. Super Berichte :) Es ist sehr schön zu sehen, wie ihr euch in dieser Komunität engagiert. Ich hoffe beim nächsten Besuch dass die Liste wächst!
    LG
    Ulla

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