Montag, 13. Oktober 2014

Elbinsel-Alleycat: ein ganz normaler unnormaler Abend

Elbinsel Allyecat vor dem Start am Spreehafen
Es sollte ein ganz normaler Abend werden. Eine Alleycat in Wilhelmsburg, also eine Art Schnitzeljagd auf dem Rad. So was machen überwiegend Radkuriere, teilnehmen darf aber jeder. Ich mag Allyecats, besonders die Elbinselalleycat. Sie findet zum dritten Mal quasi direkt vor meiner Haustür statt und glänzt mit toller Strecke und guter Organisation. Doch mir kam kurz nach dem Start buchstäblich etwas dazwischen. Eine Radfahrerin um genau zu sein. Und statt bei der Alleycat-Abschlussparty in einer Sauerkrautfabrik endete mein Rennen in der Notaufnahme eines Krankenhauses.
Sin ist schon da. Björn auch. Nur Jakob fehlt. Wir sehen uns ein oder zwei Mal im Jahr. Immer bei den Alleycats in Hamburg. Wie immer wollen wir ein Team bilden. Sin hat schon für alle bezahlt. Nun ist auch Jakob da. Um kurz nach 18 Uhr geht es los. Auf dem Manifest steht unser erster Checkpoint, kurzer Blick auf die Karte, schon sitzen wir im Sattel. Sin kollidiert nach weniger Metern mit einem übereifrigen Mitstreiter. Ein kleiner Stolperer mit dem Rad, sonst ist nichts passiert. Hätte ich jetzt schon was ahnen können oder sollen? Der Tag steht unter keinem guten Stern. Bereits als ich das Haus verlasse denke ich kurz über meinen Helm nach. Verwerfe den Gedanken aber. Alleycat und Helm vertragen sich irgendwie nicht, finde ich. Ich lasse den Kopfschutz zu Hause.
Start zur Elbinselallyecat Nummer drei. Für mich ein kurzes Vergnügen. Und ein schmerzhaftes


Unser erster Checkpoint ist das Velo 54 in der Vehringstrasse. Wir fahren zügig, aber nicht extrem waghalsig, wir sind schnell, haben aber alles unter Kontrolle. Schnell rein in den Radladen und weiter zur nächsten Station. Von der Vehringstraße biegen wir ab in die Fährstrasse. Wir fahren zügig, aber noch lange nicht Vollgas. Das kommt immer erst am Deich, dort wo es frei ist, wo wir Windschatten fahren können. Außerdem sind wir ja erst beim warm fahren.
Checkpoint im Velo 54 HH-Wilhelmsburg

Sin ist gut zehn Meter vor, Björn und Jakob etwas hinter mir. Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Eine Radfahrerin, die wir überholen wollen, zieht nach links, ohne Vorwarnung, ohne Zeichen, einfach so, von der Straßenmitte scharf nach links Richtung Bürgersteig und damit voll in meine Fahrlinie. Ich habe eine Sekunde, mich auf den unvermeidlichen Crash einzustellen. Reflexartig ziehe ich an den Bremsen, werde langsamer. Leider nicht langsam genug. Mit großer Wucht knalle ich ins Vorderrad der Radfahrerin. Beide gehen wir spektakulär zu Boden, bleiben benommen liegen. Mein linker Arm schmerzt, über dem Auge habe ich ein kleine Schürfwunde. Die Getroffene liegt ein paar Meter neben mir; sie stöhnt.

Ich bin betroffen und sauer zugleich, raunze sie an, dass ihr Manöver falsch und gefährlich war. Sie motzt zurück. Was ein Glück: Wir können beide noch motzen. Dann kann es alles so schlimm nicht sein. Ein paar Minuten brauchen wir, um den Schock zu verarbeiten. Ich ahne: Adrenalin und Schock dämpfen oder verdrängen die Schmerzen. Die nächsten Tage wird mir Arm und Schulter noch weh tun. Das weiss ich von diversen Brustprellungen. Ich habe eine ansehnliche Sturzkarriere hinter mir. Ohne Stürze geht es im Radsport eigentlich nicht. Aber so spektakulär und gefährlich wie eben, habe ich mich noch nie vom Rad getrennt.

Björn, Jakob und Sin versuchen herauszufinden, ob uns wirklich nichts Schlimmeres passiert ist. Der Sturzverlauf hat sie beunruhigt. Es scheint wirklich dramatisch ausgesehen zu haben. Doch weder Susanne, so heißt die Dame, noch mir scheint wirklich was ernsteres passiert zu sein. Und das ohne Helm. Kein Zweifel: Unsere Schutzengel haben Überstunden geleistet. Wie gefährlich ein Sturz ausgehen kann, hat kürzlich das Drama um Michael Schumacher gezeigt.

Meine Wut auf Susanne hat sich gelegt. Auch ihre Stimme wirkt jetzt freundlicher. Wir einigen uns darauf, keinen Notarzt und Polizei zu rufen. Susanne hat Sorge, das ihr ganzes Rad ein Totalschaden ist. Das Vorderrad ist es definitiv, so krumm wie es in der Gabel steckt.

Susanne braucht ihr Rad. Dringend. Sie ist Altenpflegerin und besucht damit ihre Patienten. Dass es ihr am Montag möglicherweise nicht zur Verfügung steht, macht sie ganz traurig. Ich fühle mich schlecht, biete ihr ein Leihrad aus meinem Fuhrpark an. Doch sie will nur ihr Rad.  Fast scheint es, der Schmerz über das kaputte Rad überlagere die Schmerzen im Körper.

Sin und Jakob fahren die Allyecat weiter. Björn bleibt bei Susanne und mir.  Wir beschließen, ihr Rad noch heute zu reparieren. Schnell ist das völlig verbogene Vorderrad ausgebaut. Damit marschieren wir gut zwei Kilometer zurück zum Velo 54, wo sie tatsächlich ein passendes Ersatz-Vorderrad auf Lager haben. Dazu einen neuen Schlauch als Ersatz für das von den Speichen perforierte Gummi, schnell die Decke getauscht und zurück zum Tatort.

Susanne holt Pumpe und Knochen aus ihrer Wohnung. Dann montieren wir das neue Vorderrad. Alles passt prima; ihr Dienstrad fährt als wäre nichts gewesen. Wir tauschen Adressen aus und verabschieden uns. Unter stärker werdenden Schmerzen fahre ich nach Hause. Mein Singlespeed hat verblüffender Weise nichts abbekommen; nur der links Bremshebel ist leicht verbogen. Ein Wunder, bei dem Crash.

Im Bett kann ich mich nicht drehen, auf der linken Seite schlafen geht überhaupt nicht. Ist vielleicht doch was gebrochen oder ausgekugelt? Am nächsten Tag habe ich keine Kraft im linken Arm, kann nichts heben oder tragen. Selbst den Schraubverschluss der O-Saftflasche kriege ich nicht auf. Darum fahre ich doch lieber ins Krankenhaus. Nach drei Stunden Warterei Entwarnung: Nur eine heftige Prellung meint die behandelnde Ärztin. Ich atme durch und spüre Schmerzen. Doch es hätte schlimmer ausgehen können, viel schlimmer.

Die Moral der Sturzstory an diesem normalen unnormalen Samstag: Es kann Dich fast immer, fast überall völlig unvermittelt erwischen. Für mich vielleicht ein Denkzettel zur rechten Zeit. Für Susanne eine Warnung, Richtungswechsel anzuzeigen. Zum Glück habe ich keine Angst, demnächst wieder schnell Rad zu fahren. Überholmanöver werde ich künftig aber bestimmt mit noch mehr 7. Sinn angehen.

1 Kommentar:

  1. Auf den Kopf hättest fallen sollen...
    Hat einen Helm und rast ohne durch die Stadt.
    Das wäre ein Denkzettel gewesen !
    Hoffe, jeder lernt aus dieser Geschichte.

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